Obama macht's möglich: Kuba-Reisen boomen. Und das bringt nicht nur ein Regime ins Wanken...

 

Havanna vor dem Sturm

 

Manuel ist 60 und damit ein Jahr älter als sein Chevrolet Bel Air Cabrio. Und er sieht genauso gepflegt aus wie das himmelblaue Taxi, mit dem er uns entlang des Malecón, der vierspurigen Avenida an der Kaimauer von Havanna, auf einen Mojito hinüber zum Hotel Nacional in die Neustadt Vedado, kutschiert. Man verzeihe den folgenden Vergleich, denn er stammt von einem Gleichaltrigen, aber so wie an uns gut erhaltenen Sechzigjährigen eben auch schon einiges zusammengeflickt ist, so verhält es sich bei näherem Hinsehen auch mit Manuels Oldtimer:

Der Hebel der Lenkradschaltung ist geschäftet, das Armaturenbrett geklebt, und daraus ragen abenteuerlich ineinander verhakte, bunte Drähte. Woher Manuel Ersatzteile bekommt? Von einem Verwandten aus den USA. Wie bitte, trotz Handels-Embargo? Über Mexiko oder Kanada sei das nie ein Problem gewesen, sagt Manuel, aber jetzt, wenn die Beziehungen normalisiert würden, werde sowieso alles besser.

Irgendwann im kommenden Winter, wenn die Hurricane-Saison vorbei ist, werden wohl die ersten Fähren ihren Betrieb zwischen Florida und Havanna aufnehmen, so versprechen es die Webseiten der US-Lizenznehmer. Das wird einen neuen touristischen Sturm bedeuten. Denn die Fährpassagiere werden nicht mehr auf das kubanische Angebot angewiesen sein, sie werden Woche für Woche hunderte Autos bei sich haben und damit in den entlegensten Winkeln der Insel zum Alltag gehören.

 

Nur wenig wird bleiben, wie es war


Die Veränderungen sind freilich schon jetzt spürbar. Besonders vor Wochenenden landen die Pendelflüge aus Miami im Stundentakt. An der Kontrolle zücken dann fast alle Reisenden kubanische Pässe. Des Rätsels Lösung: Doppel-Staatsbürgerschaften. Kuba hat den EmigrantInnen die seine nie aberkannt, und die USA garantieren jedem, der einen Fuß auf ihren Boden setzt, schnellstmöglich volle Rechte. Ein Versuch, die Besten außer Landes zu locken. Zehn Gründe akzeptiere seine Regierung neuerdings für eine Reise nach Kuba, erzählt Roger aus Los Angeles, den wir im Rum Museum am Hafen kennenlernen. Bisher waren es nur zwei, Humanitäres und Kultur. Er selbst beispielsweise habe einfach "Recherche für einen Dokumentarfilm" angegeben.

 

Von der Klassenlosigkeit auf dem Weg zur Zwei-Klassen-Gesellschaft


Für EuropäerInnen waren Kuba-Reisen ohnehin nie ein Problem, und so präsentiert sich die Insel längst als gut eingespieltes Reiseland. Nur ziemlich retro. Auch abseits der berühmten alten Autos. Das beginnt beim Geld: Bankomaten sind Zufallsfunde, und es gibt zwei Währungen, den CUC für AusländerInnen und den Peso nacional. Für die gilt: 1 CUC entspricht etwa 1 Euro oder auch 20 Pesos. Die Grundidee ist also, dass Touristen zwanzig Mal so viel bezahlen wie Einheimische.

Soll sein. Aber es gibt Überschneidungen.

Für Ausländer im Besitz nationaler Pesos kostet dann beispielsweise ein ganzer Sack voll Mangos einen Euro, umgekehrt gibt es aber Produkte, welche KubanerInnen nur mit CUCs erwerben können. Das macht für einen Tetrapack-Liter Mangosaft europareife 2,20 CUC. Die Folge ist, dass alle Einheimischen, die an CUCs kommen, den anderen gegenüber im Vorteil sind, so muss ein Durchschnittsverdiener für den CUC, den ein Zimmermädchen so nebenbei als Trinkgeld bekommt, einen Tag arbeiten.

Beispiel Kommunikation: Roaming ist zu vergessen. Und wer es nach langem Anstellen vor einem Büro der staatlichen Telefongesellschaft zum Schalter schafft, um eine lokale SIM-Karte zu erwerben, bekommt die Auskunft, dass man diese nur mieten könne. Um 25 CUC pro Woche. Dazu kämen noch die Gebühren. Also lässt man es gleich bleiben.

Ähnlich verhält es sich mit dem Internet. Es funktioniert. Freilich nur dort, wo es öffentliches W-LAN gibt, etwa in den großen, internationalen Hotels. Und wenn man eine Prepaid-Karte um 7 CUC für eine Stunde kauft. Ergebnis des Selbstversuchs: Wo es die Karten gab, funktionierte das W-LAN meist nicht - und umgekehrt.


Und dann die Sache mit dem Einkaufen. Abgesehen vom touristischen Angebot zwischen fantasievoll bemalten Autoschildern und Che Guevara-Devotionalien aller Art, fragt man sich, wo KubanerInnen ihren täglichen Bedarf kaufen. In den Straßen gibt es kaum Geschäfte. Viele der Häuser sehen im Erdgeschoß aus, als würden sie vor dem Abriss stehen. Erst die irgendwo hinten aufgehängte Wäsche belehrt einen eines Besseren. Und in den wenigen Warenhäusern scheint der Eindruck voller Regale bloße Fassade zu sein. Anders gesagt: Wer ein Haarshampoo kauft, hinterlässt eine Lücke.

Einkaufsstraßen sucht man also vergebens. In Havannas Altstadt ist eigentlich nur die Calle Obispo eine Ausnahme. Die erstreckt sich unweit des ganz nach dem Washingtoner Vorbild errichteten Kapitols von der Floridita Bar, wo Ernest Hemingway als Statue auf seinen Daiquiri wartet, bis zum Hotel Ambos Mundos, wo Zimmer 511 als Erinnerungsraum an ihn gestaltet ist und eine freundliche Führerin ebenso wartet wie ein guter Ausblick über das Stadtzentrum.


Wer in dieser Gegend Quartier nimmt, hat die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Gehweite, von der kolonialen Plaza de Armas über die alte Festung am Hafen bis hinunter zum Revolutionsmuseum im klassizistischen, ehemaligen Präsidentenpalast, wo man jedes Detail der jüngeren kubanischen Geschichte und der internationalen Aktivitäten seit der Revolution von 1959 veranschaulicht. Sogar ein lebensgroßes Diorama, in dem die Comandantes Che Guevara und Camilo Cienfuegos gerade dem Dschungel entsteigen, gibt es.

 

Nur die "Granma", jene Yacht, auf der die Brüder Castro mit 80 weiteren Revolutionären einst von Mexico in den Süden Kubas übersetzten, ist im Garten etwas lieblos und unzugänglich hinter Glas unter ein Flugdach gezwängt.

 

Weniger Staat - mehr privat

 

In diesem Viertel ist man auch dran an Havannas Nachtleben. Die meisten Lokale haben die Fenster weit offen, und in vielen wird Musik gemacht und getanzt. Die Auswahl fällt schwer, schon alleine weil einen an jeder Straßenecke Vermittler in ihr Lokal lotsen wollen. Welches natürlich das beste der Stadt ist. Wobei zu sagen bleibt: Für ihre Vielfalt wird Kubas Küche nicht berühmt, für die Üppigkeit schon. Moros y Cristianos ("Mauren und Christen"), also Reis und Bohnen, sind ebenso selbstverständlich wie gebratene Bananen und ein Gemüseteller, etwa zum bekannten Ropa vieja ("alte Kleider"), einem Saftfleisch. Da muss schon das eine oder andere Bucanero- oder Cristal-Bier beim Hinunterspülen helfen. Stilvollerweise ersteres für Männer und zweiteres für Frauen.

Und wenn es später wird, keine Angst: Havanna ist sicher. Selbst wenn man - oder frau - nachts alleine unterwegs ist.


Wer seinen Havanna-Besuch freilich auf die Altstadt beschränkt, lässt sich Wesentliches entgehen. Auch wenn die übrigen Viertel der 2-Millionen-Stadt sind nicht so leicht zu erreichen sind, sollte man sie sich nicht entgehen lassen. Am Malecon erinnern die großen Hotels, etwa das mintgrüne Riviera aus den 1950er Jahren, an die Zeit vor der Revolution, und der Stadtteil Miramar im Nordwesten ist gespickt mit klassizistischen und Jugendstil-Villen. Und überall das gleiche Bild: Vieles ist vom Verfall bedroht - aber der Kampf dagegen hat begonnen.

 

In der Neustadt wiederum wird man sich den Revolutionsplatz mit seinem über hundert Meter hohen Turm zu Ehren des Nationalhelden und "Guantanamera"-Dichters José Martí mit sensationellem Rundblick nicht entgehen lassen. Von dort ist es auch nicht weit zum Cementerio Cristóbal Colón, der als einer der prächtigsten Friedhöfe der Welt gilt, mit 20 Kilometer Straßen.
Das alles aber verlangt, wie gesagt, nach einem Transportmittel.

 

Und vieles spricht dafür, es den zahlreichen anderen Touristen in der Stadt gleich zu tun und sich dabei Manuel oder einem seiner Kollegen anzuvertrauen, der natürlich auch ganze Touren im Portfolio hat. "Including old Mafia Quarter, you know Lucky Luciano and so...", wie er zum Abschied meint. 30 CUC für eine gute Stunde sind seine Verhandlungsbasis. Der Monatslohn eines kubanischen Lehrers.